Das erinnerte Mausoleum

Waibstadt im Kraichgau: Der Eingang zum Mausoleum von Hermann Weil   Fotos: Julia Lutzeyer

Waibstadt im Kraichgau: Der Eingang zum Mausoleum von Hermann Weil Fotos: Julia Lutzeyer

Ein Grabmal als Ort der Begegnung

Mit einem Schulprojekt begann 1999 die Rettung des Mausoleums von Hermann Weil in Waibstadt. Heute kümmert sich der Verein „Jüdische Kulturerbe im Kraichgau“ um den Erhalt dieses ungewöhnlichen Grabdenkmals.

VON JULIA LUTZEYER

Am 11. November war es 2016 soweit: Zur Mittagszeit versammelten sich Schüler der Realschule Waibstadt, Mitglieder des Vereins „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau“ sowie Vertreter der Stadt vor dem Mausoleum mitten im Mühlbergwald. Gemeinsam erinnerten sie an die Novemberpogrome 1938. Damals war der Innenraum des Grabmonuments verwüstet und beide Urnen entwendet worden. Von ihnen fehlt bis heute jede Spur.

Die imposante Grabstätte, deren Kuppelbau ein Davidstern krönt, schließt unmittelbar an den jüdischen Friedhof an und wurde 1927 in Anwesenheit ihres wohlhabenden Bauherrn Dr. Hermann Weil eingeweiht. Bereits im Rollstuhl sitzend wünschte sich der in Argentinien reich gewordene Getreidegroßhändler aus Steinsfurt damals, dass seine letzte Ruhestätte, in die er auch die Asche seiner verstorbenen Frau überführen ließ, ein Versammlungs- und Begegnungsort für die Bevölkerung sein sollte. Vielleicht lassen sich damit die seitlichen Steinbänke erklären, die den ursprünglich jederzeit zugänglichen Innenhof einrahmen als wäre es ein Festsaal unter freiem Himmel.

Aussicht vom Innenhof: der jüdische Friedhof

Aussicht vom Innenhof: der jüdische Friedhof

Dass das Mausoleum mittlerweile – Jahrzehnte nach Weils Tod am 3. Oktober 1927 – tatsächlich Menschen zusammenbringt und ein Ort des Miteinander geworden ist, geht auf jede Menge bürgerschaftliches Engagement zurück. 17 Jahre ist es her, als sich der Realschullehrer Siegfried Bastl fragte, wie man die vom Kultusministerium vorgegebene Erinnerungskultur mit Leben füllen könne. Er besann sich auf das Mausoleum, nur einen Kilometer vom Rathaus in Waibstadt entfernt. „Die Leute am Ort wussten schon, dass es das gibt, sehr viel mehr aber auch nicht“, erinnert er sich. Und so entstand an der Realschule Waibstadt das bis heute lebendige Projekt „Judentum im Kraichgau“ mit dem Ziel, mehr über das Grabmal zu erfahren.

Wer sich mit der Geschichte des Mausoleums befasst, kommt gar nicht umhin, von diesem Engagement zu erzählen. Schließlich setzte das viel in Gang: die Erstellung einer Karte zum jüdischen Leben im Kraichgau, eine Wanderausstellung, Spendensammlungen, Benefizkonzerte, Zeitzeugen-Interviews und schließlich sogar die Sanierung. All das brachte neue Erkenntnisse. So suchte die 1999 gegründete Realschul-Projektgruppe über eine Notiz im „Argentinischen Tageblatt“ den Kontakt zu den Nachkommen der Familie Weil, die aus dem nahen Steinsfurt stammte. Mit Erfolg! 2002 reiste Siegfried Bastl mit einigen Schülern zu einem Familientreffen der Weils nach Florida. Mit dabei: eine Videokamera. Mit ihr filmten die Schüler ihre Gespräche mit den Nachfahren.

Von links: Hans-Peter Gruber, Marion Guttman, Siegfried Bastl

Von links: Hans-Peter Gruber, Marion Guttman und Siegfried Bastl vom Verein „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau“

Durch diese Nachforschungen der Schüler, die auch vor Ort in Waibstadt und Umgebung stattfanden, begannen sich nach und nach immer mehr Einwohner von Waibstadt mit der jüdischen Vergangenheit im Kraichgau und dem Bauwerk zu befassen. „Durch unsere Erinnerungsarbeit haben wir das Mausoleum aus dem Dornröschenschlaf geweckt“, sagt Bastl.
2009 kam es zu einer zweiten Zusammenkunft der Projektgruppe und den Mitgliedern der über Süd-, Mittel- und Nordamerika, Großbritannien und Israel verstreuten Weil-Verwandtschaft. Dieses Mal jedoch in Deutschland. Die Nachkommen von Hermann Weil hatten ihr Familientreffen ins Kraichgau verlegt. Auf dem Programm stand der Besuch der soeben mit Unterstützung mehrerer Schulen und Vereine restaurierten alten Synagoge am Heimatort der Weils. „Als wir mit den Familienmitgliedern dann auch das Mausoleum besuchten, waren wir regelrecht beschämt, in welch schlechtem Zustand es war“, sagt Bastl. Das war die Geburtsstunde des Vereins „Jüdisches Kulturerbe im Kraichgau“, dessen erster Vorsitzender Siegfried Bastl ist. Die Mitglieder, zu denen auch längst erwachsen gewordene Schüler aus der Anfangszeit der Projektgruppe gehören, setzen sich für die Rettung des Grabmals und die Erforschung der Familie Weil ein.

Kreidezeichnung von Hermann Weil, Unternehmer und Mäzen

Kreidezeichnung von Hermann Weil

Von den Weils und dem Mausoleum geht nicht nur eine große Faszination aus, weil Hermann Weil Ende des 19. Jahrhunderts nach Buenos Aires ausgewandert war und dort als Gründer der damals weltbekannten und global agierenden Handelsfirma Weil Hermanos & Cie in kurzer Zeit zu großem Reichtum gelangt war. Als er 1908 zur Behandlung seiner Syphilis-Erkrankung nach Deutschland zurückkehrte und sich mit seiner krebskranken Frau und zwei Kindern in Frankfurt am Main niederließ, hatte er Beziehungen bis hinauf zu Kaiser Wilhelm II. Weils Sohn Felix gehört zu den Mitbegründern des Frankfurter Instituts für Sozialforschung. Seine Heimat vergaß Hermann Weil, der die letzten Jahre seines Lebens im Rollstuhl saß und nur 59 Jahre alt werden sollte, dabei nicht. So stiftete er seinem Geburtsort Steinsfurt eine Koch- und Fortbildungsschule. Sie wurde 1925 fertiggestellt.

Kurz darauf begannen die Vorbereitungen für den Bau des Mausoleums. „Zu dieser Zeit wusste Hermann Weil, dass er nicht mehr lange leben würde, und plante, in der Nähe seiner Eltern bestattet zu werden“, erklärt Hans-Peter Gruber, zweiter Vorsitzende des Vereins, der sich intensiv mit der Familiengeschichte und Bauhistorie beschäftigt hat. Das Grab von Weils Eltern liegt auf dem jüdischen Friedhof im Mühlbergwald. Vom Innenhof des Mausoleums kann man den Grabstein sehen. „Er selbst konnte nicht auf dem Friedhof beerdigt werden, da er eingeäschert werden wollte und das den jüdischen Vorschriften widersprach.“ Ganz abgesehen davon, dass ein begehbares Grabmal ebenfalls nicht der jüdischen Beerdigungskultur mit betont schlichten Grabsteinen entsprochen hätte. So kaufte sich Weil für sein Bauvorhaben das Grundstück direkt neben dem Friedhof. „Er investierte sehr viel Geld, auch weil zunächst Zugangswege für den Transport des Materials geschaffen werden mussten“, sagt Gruber.

Der Grabstein der Weil-Eltern auf dem jüdischen Friedhof

Der Grabstein der Weil-Eltern in schwarzem Granit auf dem benachbarten jüdischen Friedhof

Realschullehrerin Marion Guttman, die als Nachfolgerin von Siegfried Bastl die Projektgruppe seit drei Jahren leitet, berichtet, dass ihr Großvater sich noch gut daran erinnern konnte, wie er Baumaterial auf das Privatgrundstück im Wald geschafft habe. Dass man an Hermann Weil in der Gemeinde positive Erinnerungen hat, liegt auch daran, dass er den Leuten damals Arbeit gab, als die Not durch die Wirtschaftskrise groß war. Bei der Einweihung des Mausoleums sprach der damalige Bürgermeister die Dankesworte: „Sie haben in der schweren Zeit wirtschaftlicher Depression Hunderten von Menschen Gelegenheit zu künstlerischer Betätigung, zu Arbeit und Broterwerb gegeben, die sonst unter der Last ihrer Sorgen zusammengebrochen wären.“

An all das wurde gedacht, als es 2012 endlich zu der umfassenden Sanierung des Mausoleums kam, bei der die Platten einzeln abgetragen werden mussten. Hans-Peter Gruber sieht die Rettung des durch feuchtes Mauerwerk vom Verfall bedrohten Bauwerks aber auch ganz losgelöst von Hermann Weil. „Das Kraichgau hatte ein starkes Landjudentum. In manchen Gemeinden wie Wollenberg oder Neidenstein war jeder dritte Einwohner jüdisch“, sagt er. Dass man über das Mausoleum an diese Zeit erinnern kann, hat einen Vorteil: „Das Gebäude hat etwas märchenhaftes und wird nicht unmittelbar mit der Judenverfolgung in der NS-Zeit in Verbindung gebracht.“

Blick in die restaurierte Kuppel mit dem Mosaik eines lapislazuli-blauen Sternenhimmels

Die restaurierte Kuppel mit dem Mosaik eines lapislazuli-blauen Sternenhimmels

Ursprünge des Mausoleums

Die Wurzeln des Mausoleums liegen im monumentalen Grabmal des Maussolos in Helikarnassos an der Südwestküste der heutigen Türkei. Der Regent starb im Jahr 353. Sein zu den sieben Weltwundern zählendes Grabmal, von dem heute nur noch Reste zu sehen sind, wurde auf einem mehrstufigen Sockel gebaut und erreichte eine Höhe von 46 Metern. Die zentrale Grabkammer war von Säulen umkränzt. Seitdem bezeichnet ein Mausoleum ein repräsentatives Grabmal in Gebäudeform.

Berühmte Grabmonumente in Baden-Württemberg

Grabkapelle auf dem Württemberg
König Wilhelm I. ließ die Stammburg der Württemberger über dem Neckartal schleifen, um zwischen 1820 und 1824 eine Grabkapelle für seine aus der russischen Zarenfamilie stammende, jung verstorbene Frau Katharina erbauen zu lassen. Der tempelartige Kuppelbau nach den Entwürfen von Giovanni Battista Sallucci ist eine Verbeugung vor der Villa Rotonda des Architekten Andrea Palladio und dient der russisch-orthodoxen Gemeinde bis heute als Kirche. Durch ihre Aussichtslage über den Weinbergen von Stuttgart-Rotenberg ist die Kapelle samt Gruft ein beliebtes Ausflugsziel.

Großherzogliche Grabkapelle Karlsruhe
Ab 1889 entstand im Karlsruher Hardtwald die Großherzogliche Grabkapelle im neugotischen Stil. An diesen abgelegenen Ort ließen Louise und Friedrich I. von Baden das Grab des ein Jahr zuvor mit nur 23 Jahren verstorbenen Prinzen Ludwig Wilhelm aus der belebten Stadtkirche überführen. Der Bildhauer Hermann Volz schuf für die Gruft ein Scheingrab aus hellem Marmor, das den Jüngling lebensecht nachbildete und setzte auch dessen Eltern ein steinernes Denkmal mit detailgenauen Liegefiguren.

Familien-Mausoleen um 1900
Wohl angeregt durch solche Vorbilder, entstanden um 1900 eine ganze Reihe Familien-Mausoleen im Südwesten. Zum Beispiel 1891 das Mausoleum der Familie Bartholomae auf dem Bergfriedhof in Heidelberg. Aus dem Jahr 1909 stammen das Mausoleum Seefrid auf dem Göppinger Hauptfriedhof und das an die Sakralbauten von Ravenna erinnernde Fürstliche Mausoleum in Langenburg. Das ist jedoch keine Grablege, sondern lediglich eine Kapelle. Bekannt ist zudem das Bürklin’sche Mausoleum auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe, 1913 fertig gestellt.

Mausoleen heute? Die Rechtslage
Prinzipiell sind Bestattungsgesetze Ländersache. Eine Nachfrage beim Garten-, Friedhofs- und Forstamt in Stuttgart ergab, dass es in den vergangenen Jahrzehnten kein Bedarf an Mausoleen gab. Einem Antrag, ein begehbares Grabmal zu errichten, würde heute auch nicht entsprochen werden, teilt Harald Aust mit, Leiter der Abteilung Friedhöfe und Bestattungen. Schon seit Jahrzehnten sind derartige Grabgebäude unzulässig. Ob aus Platzmangel oder einem anderen Grund, sei nicht bekannt. Und da in Baden-Württemberg Friedhofspflicht besteht, das heißt Leichname nur dort bestattet werden dürfen, darf man auch kein echtes Mausoleum auf Privatgrund bauen, allenfalls eine Gedenk-Architektur. (jul)