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Lenka Kühnertova betrachtet an ihrem Zeichen- und Werktisch ihres Showrooms die Probedrucke ihrer Musterbücher

Lenka Kühnertova an ihrem Zeichen- und Werktisch im Showroom. Fotos: Julia Lutzeyer

Die Tuchmacherin aus dem Hinterhaus

Die Kommunikationsdesignerin Lenka Kühnertová bedruckt Stoffe mit literarisch inspirierten Motiven und macht daraus kunstvolle Accessoires und Kleidungsstücke.

Tücher aus verschiedenen Kollektionen hängen direkt beim Eingang in den Showboom

Gut betucht.

VON JULIA LUTZEYER

Ist das jetzt Mode? Kleidsame Kunst? Ein Gestaltungskonzept? Kunstvolle Kleidung? Wie man die bedruckten Tücher von Lenka Kühnertová auch dreht und wendet, so einfach zu beantworten ist das nicht. Schon gar nicht für eine Kommunikationsdesignerin, die sich am liebsten in Farbe, Linie und Form ausdrückt. „Ich zucke zusammen, wenn ich erklären soll, was ich mache“, sagt die 36-Jährige in ihrem Showroom, der Laden und Manufaktur zugleich ist. Zu Stuttgart-Mitte zählend und in nächster Nähe zum Neckartor liegt er versteckt in einem Hinterhaus.
Innen eine andere Welt: Weiß die Wände, weiß das Mobiliar, von drei Seiten fällt Licht in den loftartigen Raum. Hinter Pfeilern steht ein mit blauer Gummischicht bespannter Tisch, lang und breit wie ein Laufsteg. Von der Decke hängen Stangen mit Drahtbügeln. Darauf die Kollektionsteile, mit eigenwilligen Namen wie „Zehn vor Sieben“, „Burjatia“, „Süchtig nach Zitronenbonbons“ oder „Aufziehvogel“ versehen: Tücher, Schals, Umlegekragen, ins Netz gegangene Kugelketten und ein paar Modelle, die sich auf den zweiten Blick als Kleidungsstücke entpuppen – Oberteile und Tunika-Kleider.
Jedes Modell hat Lenka Kühnertová in kleinen Auflagen von Hand bedruckt, zumeist im Siebdruckverfahren oder mit der Ätzdrucktechnik. Dicke Bücher voller Probedrucke auf Stoffproben verweisen auf eine experimentellen und überlegten Gestaltungsprozess.

Auf dem Wollschal nimmt ein Gespinst aus Linien Bezug zu einer Szene aus der Erzählung des tschechischen Autors Bohumil Hrabal. Wie das Licht einer Glühbirne kurz vor dem Verlöschen, ändern die Linien ihre Farbe von Grau zu Rosa

Schal aus der Kollektion „Zehn vor Sieben“.

„Mein Ausgangspunkt ist Literatur“, erklärt die aus Prag stammende Gestalterin, die seit 17 Jahren in Stuttgart lebt. Das kann wie für ihre erste Kollektion aus dem Jahr 2012 ein Roman wie Haruki Murakamis „Mister Aufziehvogel“ sein oder ein Gedicht wie für ihre aktuelle, nunmehr fünfte Kollektion. Unter dem Titel „Eselsbrücken“ stellt sie diese auf ihrer nächsten Vernissage am 14. November im Kühnertová-Showroom vor.
In freier Assoziation zu den Texten entstehen zunächst Entwürfe und Zeichnungen. So beziehen sich die Grau- und Rosatöne sowie die an Lichtstrahlen erinnerten Striche in der Kollektion „Zehn vor Sieben“ auf eine Passage der Erzählung „Die Schur“ des tschechischen Autors Bohumil Hrabal. „Dort wird beschrieben, wie sich das Licht der Glühbirnen zu verfärben beginnt und aus dem weißem Licht sachtes Rosa und aus Rosa Grau wird“, so Kühnertová. Diese sprachlich erzeugte Stimmung des sich ankündigenden Verlöschens findet auf Schals in verblassenden Liniengespinsten ein optisches Echo.

Lenka Kühnertová betrachtet ein mehrfarbig bedrucktes Seidentuch aus der Sonderedition "Bon Plan".

Sinnliches Erlebnis: Tuch der Sonderedition „Bon Plan“.

Kreativer Prozess bis zuletzt
Ans Zeichnen schließt eine Recherchephase an, in der die Gestalterin mit Stoffqualitäten experimentiert und Farbwelten festlegt. „Ich mische jeden Farbton selbst, um auf die kleinste Nuance Einfluss zu haben,“ begründet Kühnertová ihr Nein zu Fertigfarben. In einem dritten Schritt entstehen auf Basis der Vorstudien die Druckschablonen. „Wenn ich die Linien auf die Folien übertrage, arrangiere ich die Motive häufig neu, etwa indem ich die Folie drehe und so neue Anschlüsse finde“, erklärt Kühnertová. Solche Eingriffe in die Abfolge ihrer durchweg analogen Produktionsschritte sorgen dafür, dass der kreative Prozess nie abreißt.
Haben sich die Schablonen in Probedrucken bewährt, beginnt am laufsteglangen Tisch die Druckphase und damit die eigentliche Produktion. „Diese drei bis vier Wochen sind schon allein körperlich anstrengend“, erzählt die zierliche Frau. Das Drucken mit mehreren Farbplatten fordert höchste Konzentration: Eine Unachtsamkeit kann viel zerstören.
Nach dem Trocknen und Fixieren der Farbe mittels Bügelhitze fehlt nur noch die Kantenverarbeitung. Diesen letzten Verarbeitungsschritt überlässt die Tuchmacherin oder besser Tuchdruckerin anderen. „Fürs Nähen habe ich in Südböhmen einen Kleinbetrieb gefunden“, sagt Kühnertová und freut sich, dort Tschechisch sprechen zu können, ihre Muttersprache. Seidentücher gehen in die Schweiz und werden dort handrolliert. Im Land der Eidgenossen wird Handwerkliches hoch geschätzt. „Dort gibt es mit Sonnhild Kestler aus Zürich und Fabia Zindels Marke Matrix aus Basel die einzigen mir bekannten Tuchgestalterinnen, die wie ich mit Handsiebdruck arbeiten.“

Auf der Wand des Showrooms sind literarische Zitate zu lesen. Etwa das folgende: "Wie Sie sagten, es war wunderschön. Und da es wunderschön war, war es gefährlich. Und da es gefährlich war, war es das Richtige, das Meine..."

Literatur an den Wänden der Schubartstraße 2 B/1.

Stoff als Träger von Botschaften
Im Grunde gestaltet Lenka Kühnertová ihre Seidenkarrees, Woll- und Baumwollschals und Leinentextilien ganz ähnlich wie ein Maler seine Leinwände, wie ein Grafiker sein Papier. Nur, dass ihre Werke nicht an Wänden, sondern an Hälsen, um Schultern, eben an Körpern präsentiert werden. Das Sinnliche ist ihr wichtig, schon allein die Haptik von Gewebtem.
In ihrem Studium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart nutzte sie Kleidung erstmals als Träger visueller Botschaften. „Bei einer New-York-Exkursion mit dem Auftrag, ein Kommunikationskonzept zu entwickeln, habe ich eine Art Reisetagebuch in Form von T-Shirts entwickelt.“ Und da sie das Stoffliche nicht mehr losließ, wechselte die Kommunikationsdesign-Studentin ein Semester lang als Gast zum Studiengang Textildesign.
Aufs Tuch und seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung kam Kühnertová durch ihre Diplom-Arbeit, für die sie sich in einer Kollektion mit den Regeln und Geheimzeichen des Kleidens beschäftigte, die unter britischen Dandys galten. „Zuvor hatte ich keinen Bezug zu Tüchern“, stellt sie klar. „Doch als ich lernte, dass ein Tuch durch seine Gestalt und die Art, es zu tragen, soziale Botschaften senden kann, habe ich es für mich entdeckt.“ Und zu ihrem Medium gemacht.
Ein Medium fürs Literarische. Doch welche Texte beflügeln sie so, dass sie ihre Essenz auf Tüchern druckt und in die Welt flattern lässt? „Im Rückblick kann ich einen gemeinsamen Nenner feststellen: In allen Texten, die ich bisher verarbeitet habe, erzählen die Protagonisten aus ihrem Alltag. Diese Poetik des Alltäglichen könnte mein Kriterium werden, auch für künftige Kollektionen.“

Bedruckter Stoff auf einem Drahtbügel liegt zusammengefaltet auf dem Drucktisch

Am breiten Drucktisch.

Textildruck-Techniken

Siebdruck: Bei diesem Flachdruckverfahren wird die Farbe mit einer Gummirakel durch ein feinmaschiges Gewebe auf den Stoff gedruckt. An den Gewebestellen, auf denen keine Farbe sein soll, werden die siebartigen Öffnungen mit Hilfe einer Schablone verschlossen. Für jede zu druckende Farbe ist ein eigens präparierter Siebrahmen nötig.

Ätzdruck: Beim Ätzdruck wird die Druckfarbe durch eine oxidierende oder ätzende Paste ersetzt. An den Stellen, an denen die Paste auf den vorgefärbten Stoff trifft, wird der Farbstoff zerstört. Auf diese Weise entstehen bei der Weißätze helle Motive beziehungsweise eine helle Musterung.

www.kuehnertova.de