
Detail aus Jean-Honoré Fragonards Gemälde „Die Schaukel“. Wallace-Collection, London
Ganz schön schlüpfrig
Als flache Pantoffeln, Puschen und Babuschen oder als hochhackige Mules und Pantoletten: Slipper mit freier Ferse sind wieder in Mode. Sie stammen aus dem Orient und eroberten vor Jahrhunderten über Italien die europäische Schuhmode. Als Hausschuhe sind sie praktisch und bequem. Begehrlichkeiten wecken sie als extravagant gestaltete Slipper.
VON JULIA LUTZEYER
Dass Frauen eine Schwäche für Schuhe haben, ist bekannt. Dass sie aber willens sind, für Pantoffeln an die 1000 Euro auszugeben, das überrascht dann doch. Dabei handelt es sich bei den It-Schläppchen der türkischen Nobelmarke Sanayi 313 wohlgemerkt nicht um hochhackige Mules, wie die Schlupfschuhe mit freier Ferse heißen, sobald sie über Stilettoabsätze verfügen. Vielmehr zeigt der Prospekt eines Kaufhauses flache Treter, deren Kappe mit goldglänzenden Stickereien und Bommeln verziert sind. Schon im vergangenen Sommer hatten Designer-Marken wie Celine, Gucci oder Acne flache Slipper mit geschlossener Vorderkappe und freier Ferse im Programm, die durch Metallschnallen und Lederfransen auf seriös machten. Ganz klar: Diese sündteuren Schühchen sind nicht als schnöde Hauspantinen gedacht. Sie suchen den öffentlichen Auftritt. Bewunderung!

Sündteure Schläppchen mit Bommeln Foto: Sanayi 313
Nun könnte man meinen, dass nach dem Turnschuh, der Gesundheitslatsche, Zehensandale und Espadrille nun eben der Pantoffel eine späte Aufwertung zum Luxusgut erlebt. Ein Blick in die Kostümgeschichte zeigt jedoch, dass feine Pantoffeln zum Vorzeigen ein alter Hut sind. Schon in früheren Jahrhunderten entschieden Material und Aufmachung über den Gebrauch: Bestanden sie aus weichem Filz und anschmiegsamer Seide, trug man Pantoffeln im Haus, während man in durch Kork oder Holz verstärkten Ledermodellen durchaus raus auf die Gass’ konnte.
Es ist vielleicht genau dieser Gegensatz zwischen geschlossen und offen, zwischen offiziell und privat, der Pantoffeln so reizvoll macht und die Fantasie der Schuhhersteller immer wieder beflügelte. Denn auch wenn die Vorderkappe der aktuellen Modelle vorgibt, ein College- oder Turnschuh, ein Pumps oder Halbschuh zu sein: durchs fehlende Fersenteil wird kein rechter Schuh draus. Dafür gibt die Fußbekleidung den Blick auf den Körper frei. Was das für frühere Generationen bedeutet hat, lässt sich in der Literatur nachlesen (siehe Hintergrund). Erotisch aufgeladen taugt der Pantoffel zum Fetisch.
Die Ursprünge des Schlupfschuhs mit offener Ferse liegen im Orient, wie die persische Bezeichnung „papusch“ belegt. Sie setzt sich aus „pa“ für Fuß und „pusch“ für Decke zusammen. Diese Papuschen waren durch Stickereien und Edelsteine reich verziert und gelangten über das Mittelmeer im 15. Jahrhundert nach Europa.
In Spanien und bald auch in Venedig gewann der hinten offene Schuhtypus als Stelzpantoffel, Chopine genannt, mächtig an Höhe. Die Plateausohle bestand aus Kork. Diese Sonderform der Pantoffel diente als Überschuh und blieb unter den langen Roben der Damen verborgen. Bemerkbar machte sich der Stelzschuh durch die wundersame Körperlänge seiner Trägerin dennoch.
Solche Auswüchse dürfen nicht über die praktischen Aspekte von Pantoffeln hinwegtäuschen. Dazu gehören der geringere Materialverbrauch, die Toleranz bei der Passform durch das fehlende Fersenteil und die Möglichkeit, die Treter ganz ohne lästiges Bücken anzuziehen und abzustreifen. Dennoch hat der Schuh auch seine Tücken, wie schon Charles Perrault in seinem Märchen „Aschenputtel oder Das gläserne Pantöffelchen“ erzählt. Wobei sich der Verlust des kostbaren Tanzschuhs auf der Schlosstreppe für das Mädchen und seinen Prinzen letztlich als Glück erweist.
Im 18. Jahrhundert waren mit Absätzen versehene Pantoletten aus der Damenmode nicht mehr wegzudenken. Aus kostbarer Seide gefertigt und reich bestickt wurden sie zu Statussymbolen adeliger Damen und bei der – damals quasi öffentlichen – Toilette im Boudoir getragen, aber auch auf Bällen und sogar im Freien.
Befördert wurde der Hang zu Pantoletten durch die französische Orient-Mode im 18. Jahrhundert. Hochgebogene Spitzen waren nun der letzte Schrei. Mit den Umwälzungen der Französischen Revolution, die auch vor der Mode nicht halt machten, schwanden nicht nur die Absätze, sondern auch die Pantoletten aus der Öffentlichkeit. An ihre Stelle traten Ballerina-Schuhe, rundum geschlossen.
Schlupfschuhe ohne Fersenteil behaupteten sich als bequeme Hauschlappen. Als Pantoffelheld galt nun ein Mann, der draußen den großen Macker gab, daheim aber unter der Knute seines Weibes stand.
Dass aus ollen Pantoffeln wieder schicke Pantoletten wurden, ist nicht zuletzt den Ballets Russes des Impresario Sergej Diaghilew zu verdanken. An den orientalischen „Scheherazade“-Kostümen von Léon Bakst orientierten sich zahlreiche Modemacher des frühen 20. Jahrhunderts, darunter auch der französische Schuhdesigner André Perugia, der unter anderem für Paul Poiret arbeitete. Seit den 1970er Jahren macht sich vor allem der spanische Schuhdesigner Manolo Blahnik um die Pantolette verdient und vereinte Tragekomfort mit extravagantem Aussehen.

Edouard Manet: „Olympia“
Der Pantoffel als erotisches Symbol
Der Begründer der Psychoanalyse Siegmund Freud sah in Schuhen ein sexuelles Symbol für Vulva und Vagina. Dass sich weiche, zierliche Pantöffelchen, in die man hinein- und wieder hinausschlüpfen kann, für erotische Fantasien trefflich eignen, lässt sich literarisch und kunsthistorisch belegen.
Eine kokette Pantoffelszene zeigt Jean-Honoré Fragonards Gemälde von 1766/67 „Die Schaukel“: Eine Dame wirft einem in einem Rosenbusch versteckten Galan eine Pantolette zu und lässt dabei unter ihren Rock blicken.“
Édouard Manets 1863 entstandenes Gemälde „Olympia“, heute im Pariser Musée d’Orsay, stellt einen mit wenigen Accessoires geschmückten liegenden Frauenakt dar, dessen einzige Bekleidung helle Seidenpantoffeln sind. Da der hintere Fuß den Schuh bereits verloren hat, wird das Motiv der Entblößung durch die nackten Zehen weitergeführt. Als das Werk 1865 im Pariser Salon ausgestellt wurde, verursachte es einen der größten Skandale der Kunstgeschichte. Nicht allein wegen des anstößig empfundenen Motivs, sondern auch wegen Manets flächiger Malweise.
In Johann Wolfgang von Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ gebraucht die sinnlich, leichtsinnige Schauspielerin Philine ihre Pantoffeln gleich mehrfach, um Männern den Kopf zu verdrehen. Der Hauptfigur Wilhelm spielt sie folgenden Streich: „Eben war er im Begriffe, sich auszuziehen, nach seinem Lager zu gehen und die Vorhänge aufzuschlagen, als er zu seiner größten Verwunderung ein Paar Frauenpantoffeln vor dem Bett erblickte; der eine stand, der andere lag. – Es waren Philinens Pantoffeln, die er nur zu gut erkannte (…) Mit großem Erstaunen fand er sein Bette leer, die Kissen und Decken in schönster Ruhe. Er sah sich um, suchte nach, suchte alles durch und fand keine Spur von dem Schalk. Hinter dem Bette, dem Ofen, den Schränken war nichts zu sehen; er suchte emsiger und emsiger; ja ein boshafter Zuschauer hätte glauben mögen, er suche, um zu finden.“
Im Briefwechsel von Gustave Flaubert mit seiner Geliebten Louise Colet, werden Pantoffeln zum Fetisch. So schreibt Flaubert: „Träumst Du auch bei jedem Buchstaben, bei jedem Schriftzug, so wie ich, wenn ich Deine kleinen braunen Pantoffeln anschaue, mit offenen Augen von der Bewegung Deines Fußes träume, als er sie ausfüllte und sie von ihm warm waren. Das Taschentuch steckt darin, ich sehe Dein Blut. – Ich wollte, es wäre ganz rot davon.“ Dieses erotisch aufgeladene Pantoffelmotiv verarbeitet Flaubert auch in seinem Roman „Madame Bovary“. (JUL)
Erschienen in der Stuttgarter Zeitung und in den Stuttgarter Nachrichten, April 2017.