Interview zum FREISPIEL 2016

UN/RUHE heißt der Titel des FREISPIEL 2016: Rebecca Saunders Komposition "Still" wird darin zur choreographischen Version erweitert Foto: Julia Lutzeyer

UN/RUHE heißt der Titel des FREISPIEL 2016: Rebecca Saunders Komposition „Still“ wird darin zur choreographischen Version erweitert Foto: Julia Lutzeyer

„Achtsamkeit! Darum geht es.“

Der Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper, Sylvain Cambreling, die britische Komponistin Rebecca Saunders, Jochen Sandig vom Radialsystem V Berlin und der spanische Choreograph Antonio Ruf über UN/RUHE

VON JULIA LUTZEYER

Die Türen zum schmucken Sitzungszimmer im Stuttgarter Opernhaus sind verschlossen. Von innen dringt ein vielstimmiger Wortwechsel.  Auf das Klopfen folgt „Moment!“. Der dauert. Schließlich gibt es für den Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling, die britische Komponistin Rebecca Saunders, Jochen Sandig vom Radialsystem V Berlin und den Choreographen Antonio Ruz lange vor dem eigentlichen Probenbeginn zu FREISPIEL 2016 viel zu besprechen. Es steht unter dem Titel UN/RUHE. Herzstück ist Saunders’ vor fünf Jahren in Bonn uraufgeführte Komposition „Still“, die mit Tänzerinnen und Tänzern von Sasha Waltz & Guests zur choreographischen Performance erweitert wird und mit der Jungen Deutschen Philharmonie neu erklingt.

Herr Cambreling, Herr Sandig, wie würden Sie das diesjährige FREISPIEL-Programm der Jungen Deutschen Philharmonie jeweils skizzieren?
Cambreling: Es sind drei musikalische Lichtstimmungen: Wir fangen dunkel an, mit dem Vorspiel von Wagners Oper Tristan und Isolde. Dann haben wir die glänzenden Klänge von Rebecca Saunders Violinkonzert Still. Und bei Alban Bergs Lulu-Suite stehen alle strukturellen und klanglichen Möglichkeiten der Orchestermusik des 20. Jahrhunderts zur Verfügung.
Sandig: UN/RUHE besteht aus drei Perlen: Bei Wagners Tristan und Isolde-Vorspiel wird die Musik ohne Tanz, aber mit Licht erklingen. Das Hauptwerk des Abends ist die choreographische Performance Still. Bei Alban Bergs Lulu-Suite wird es vielleicht Momente mit Tanz geben, aber eher reduziert.

Wie kam es zur Zusammenarbeit der Jungen Deutschen Philharmonie mit Rebecca Saunders und Sasha Waltz & Guests?
Cambreling: Ich wurde von der Jungen Deutschen Philharmonie für eine Zusammenarbeit zum Thema Frauen angefragt. Da habe ich sofort an Rebecca Saunders gedacht. Von ihr kam die Idee, mit Still zu arbeiten.
Saunders: Ich hatte zu der Zeit nicht die Möglichkeit, ein neues Stück zu schreiben. Dazu kam der Wunsch der Jungen Deutschen Philharmonie, sich mit anderen Sparten zu beschäftigen. Da ich gern mit Tanz umgehe und die Sologeigerin Carolin Widmann – wie ich selbst – schon mit Sasha Waltz & Guests gearbeitet hatte, habe ich vorgeschlagen, eine choreographische Fassung von dem Stück zu wagen. Sofort war klar, dass es eine Erweiterung von Still geben soll, damit der Tanz auch seinen Platz findet.

Welche Konsequenzen hat diese Erweiterung zur Performance für Ihr Violinkonzert?
Saunders: Ich habe speziell für den Choreographen Antonio Ruz eine Art Interludium komponiert, mit dem er arbeiten kann. Zudem öffnet sich das Orchester: Die ersten Streicher, der Kontrabass und zwei Schlagzeuger haben die Möglichkeit, sich räumlich durch die gesamte Situation zu bewegen.
Sandig: Dass dieser Dialog möglich ist, dass wir mit Rebecca konzeptionell arbeiten können und sie dieses Zwischenspiel von fünf Minuten neu geschaffen hat, das ist ein großer Gewinn. Dadurch entstehen mehr Raum und mehr Freiheit.

Was hat das Orchester vom Tanz?
Cambreling: Durch den visuellen Aspekt der Performance und die Kooperation mit einem Tanzensemble erfahren die Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie beim Musizieren, was es heißt, im Körper frei zu sein.
Sandig: Die Reihe heißt ja nicht umsonst FREISPIEL. Musiker zu sein erfordert eine unfassbar große Disziplin. Doch in dem Moment des Musikmachens muss es diesen Moment der Befreiung geben.
Cambreling: Es geht um Freiheit, aber in einem Kollektiv. Es kommt darauf an, ein Ensemble zu bilden und in diesem Freude an der gemeinsamen Aufführung zu haben.

Herr Cambreling, ein Dirigent ist immer auch Akteur. Die spartenübergreifende Produktion macht Sie zum Protagonisten. Macht Ihnen das nicht auch Angst?

Cambreling: Warum Angst? Musik ist Aktion! Schauen Sie sich Carolin Widmann an: Da spielt der ganze Körper. Früher war es in Orchestern Tradition, die Bewegung beim Musizieren zu kaschieren: keine Mimik, kein Lachen. Dabei geht es doch darum, ein Mensch zu sein. Ein Musiker hat seine eigene Körpersprache. Nur wird sie leider oft nicht genutzt. Man sieht auch sofort, ob Musiker zuhören oder nicht. Das ist ein Akt. Das kreiert eine Spannung, eine…
Saunders: …eine Achtsamkeit!
Cambreling: Ja, darum geht es.
Sandig: Das ist der zentrale Begriff: Still ist eine Art Achtsamkeitsübung.
Cambreling: Man macht Musik auch mit den Ohren.

Das vollständige Interview, ein Auftrag der Jungen Deutschen Philharmonie für das Orchestermagazin „Der Taktgeber“, ist zu lesen unter:

Junge Deutsche Philharmonie